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Filmporträts

Worauf warten wir noch?

Annette Grüters blickt auf 40 Jahre Engagement für Kinder mit Seltenen Erkrankungen zurück. Manche Schicksale beschäftigen sie seit Jahrzehnten. Das mag ihre Ungeduld erklären. „Unerträglich“ findet die Kinderärztin, die im Laufe ihrer Karriere viele hochrangige Ämter bekleidet hat, dass noch immer eine konzertierte nationale Forschungsstrategie fehlt, obwohl es mehr aussichtsreiche, neue Therapieoptionen gibt als je zuvor. Und so fängt sie eben selbst an zu planen und eine „Allianz der Willigen“ zu schmieden. Denn: „Worauf warten wir noch?“

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Wir brauchen einen Plan, was jetzt prioritär erforscht werden muss

„Noch immer denke ich viel über Patienten nach, die ich vor 20 Jahren oder noch vorher getroffen habe und für die es bis heute keine Diagnose gibt“, sagt Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich. Die Kinder- und Jugendmedizinerin mag keine halben Sachen: „Mich reizt es, diese Fälle noch einmal aufzuarbeiten. Schließlich existieren heute Methoden, die wir damals nicht hatten.“

Die Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ist das, was man im übertragenen Sinn eine „Überzeugungstäterin“ nennt: Schon als Studentin an der FU Berlin sorgt dafür, dass fortan alle Berliner Neugeborenen ein Hypothyreose-Screening erhalten. Bevor es diese systematische Reihenuntersuchung gab, fiel die angeborene Schilddrüsenunterfunktion meist erst Monate nach der Geburt auf. Dann war aber das Nervensystem und die Entwicklung der betroffenen Kinder aber schon unwiederbringlich geschädigt, wie Annette Grüters-Kieslich erklärt: „Früher waren diese Kinder mental behindert. Heute gibt man ihnen gleich nach der Geburt das fehlende Schilddrüsenhormon – und sie werden Ärztinnen, Bibliothekare, Ingenieurinnen.“

Diese Erfahrung habe sie zweifelsohne geprägt, resümiert die Professorin für Kinderendokrinologie, für die der Spagat zwischen Labor und Krankenbett zeitlebens selbstverständlich war. Sich einer Detektivin gleich, mit Beharrlichkeit und um-die-Ecke-Denken, in unzähligen Schritten an die Krankheitsursache herantastend – so lebt sie das Berufsbild eines „Clinician Scientist“ schon bevor sie selber als Dekanin an der Charité das bundesweit erste Förderprogramm für forschende Mediziner etablieren wird. Wissenschaftlich ambitionierte Ärztinnen brauchen im stark verdichteten Klinikalltag geschützte Forschungszeiten, davon ist Annette Grüters-Kieslich überzeugt: „Als Ärztin habe ich viel Freizeit in die Forschung investiert – vielleicht ist das meine Form der Solidarität mit denen, die in unserem Gesundheitssystem leicht untergehen.“

Artikel Teaser Bild Grueters
Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich

Seit gut zehn Jahren engagiert sie sich neben vielen weiteren ehrenamtlichen Verpflichtungen als Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung, wo sie mit der Alliance4Rare ein breites gesamtgesellschaftliches Bündnis für die „Seltenen“ schmiedet, denn sie weiß , „dass es vieler Schultern und eines klaren Plans bedarf, damit die Chancen und Möglichkeiten der modernen Medizin vor allem jene erreichen, die sie am dringendsten brauchen.“ Dass spezifische Therapien für Seltene Erkrankungen noch immer Mangelware sind, liegt nach Einschätzung der Professorin daran, dass Strategien, Anreize und nachhaltige Strukturen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit fehlen. Ein Zustand, den sie angesichts möglicher  neuer Therapieoptionen „geradezu unerträglich“ findet. In den zunehmenden Möglichkeiten der auf den Erkenntnissen der Grundlagenforschung basierenden gezielten Therapien sieht Annette Grüters-Kieslich wie viele ihrer Kolleginnen eine historische Chance im Umgang mit bisher unheilbaren Erkrankungen. Davon profitieren dann auch „häufige Erkrankungen“, die sich auch aus einer Vielzahl Seltener Erkrankungen mit spezifischen Ursachen zusammensetzen.

Dass sich seit Gründung des Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankungen NAMSE etwa mit dem Ausbau und der Zertifizierung von Zentren für Seltene Erkrankungen, innovativen Versorgungsforschungsprojekten wie TRANSLATE-NAMSE und der künftig verpflichtenden Kodierung anhand der Alpha ID-SE vieles in die richtige Richtung entwickelt hat, bestärkt Annette Grüters-Kieslich in ihrem Wirken – und treibt sie weiter an: „Wenn ich doch weiß, dass mit neuen Methoden und Technologien noch mehr Verbesserung für die Patienten zu erzielen ist, kann ich doch nicht sagen: Ich bin nicht mehr in der Verantwortung. Da muss ich doch weiter versuchen, etwas für sie zu tun!“

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