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Wissen & Meinung

Hier finden Betroffene Hilfe – Was Zentren für Seltene Erkrankungen leisten können

36 Zentren für Seltene Erkrankungen gibt es mittlerweile bundesweit. Im Magazin "Leben mit..." erläutert Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich erläutert Aufbau und Arbeit dieser wichtigen Einrichtungen. Hier finden Betroffene Hilfe, wenn es keine sichere Diagnose gibt oder Expertinnen und Experten gebraucht werden.

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Beitrag von Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich im Magazin „Leben mit… Seltenen Erkrankungen“, erschienen im April 2023.

Manche Erkrankungen sind so selten, dass sie bislang nicht einmal beschrieben sind. Andere sind zwar beschrieben, bekannt aber sind sie nicht – schon gar nicht jedem Arzt und jeder Ärztin. Menschen, die eine Seltene Erkrankung haben oder haben könnten, fühlen sich daher oft allein gelassen und hilflos.

Um diese Situation zu verbessern, wurden in Europa seit 2010 nationale Aktionspläne entwickelt. Der deutsche Nationale Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) benannte als zentrale Maßnahme die Einrichtung von Zentren für Seltene Erkrankungen. 36 solcher „A-Zentren“, zumeist an Universitätskliniken angesiedelt, sind seitdem in Deutschland entstanden.

Die Zentren erfüllen zwei wichtige Aufgaben:

  1. Für Menschen, die bislang keine gesicherte Diagnose erhalten haben, werden Fallkonferenzen unter Einbindung verschiedener Fachrichtungen organisiert, die über weitere Schritte in der Diagnostik entscheiden. Sollten hierfür genetische Untersuchungen oder andere, nicht in der Routine verfügbare Methoden nötig sein, kann dies vom Zentrum eingeleitet werden.
  2. Wurde eine Diagnose gestellt, die einer besonderen Expertise für weitere Diagnostik und Therapie bedarf, gibt es unter dem Dach eines jeden Zentrums mindestens fünf „NAMSE Zentren Typ B“: Diese verfügen über spezielles Fachwissen zu einzelnen seltenen Krankheitsbildern.

Gute Erreichbarkeit und starke Vernetzung

Die Zentren sind über die ganze Bundesrepublik verteilt, so dass eine gute Erreichbarkeit gegeben ist. Die standortübergreifende Zusammenarbeit in einem Netzwerk stellt sicher, dass die notwendige Expertise allen Patientinnen und Patienten ortsunabhängig zugänglich ist. Auch international ermöglicht dies die Einbindung in Europäische Referenznetzwerke für Seltene Erkrankungen (ERN). Sollte eine persönliche Vorstellung notwendig sein, werden den Patientinnen und Patienten konkrete Ansprechpartner empfohlen. Die belastenden, oft einer Odyssee gleichenden Reisen zu verschiedenen Einrichtungen fallen weg.

In jedem Zentrum arbeitet ein „Lotse“ oder  eine „Lotsin“. Diese legen nach der Kontaktaufnahme durch die Patientinnen und Patienten selbst oder deren behandelnde Ärztinnen und Ärzte auf Basis der bereits vorliegenden Befunde und im Austausch mit verschiedenen Fachleuten zeitnah die nächsten wichtigen Schritte fest.

Strukturierte Versorgung verkürzt den Diagnoseweg

Diese Arbeitsweise der Zentren wurde in einem Projekt – TRANSLATE NAMSE, gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses, – von 2017 bis 2020 erprobt und positiv bewertet: Denn bei etwa einem Drittel der Patientinnen und Patienten, die zuvor mehrere Jahre ohne Diagnose geblieben waren, konnte mit interdisziplinärer Zusammenarbeit, dem Einsatz von Lotsinnen und Lotsen sowie moderner Diagnostik eine gesicherte Diagnose gestellt werden. Zudem wurden neue, bis dahin unbekannte Erkrankungen erkannt.

Damit für Patientinnen, Patienten und Akteure des Gesundheitswesens erkennbar ist, dass ein Zentrum diese Leistungen verlässlich erbringt, wurde eine Begutachtung entwickelt. Acht Zentren haben diesen Prozess bislang erfolgreich durchlaufen.  

Um Betroffene zudem untereinander zu vernetzen, arbeiten die Zentren eng mit Selbsthilfeorganisationen zusammen. Diese haben sich in Deutschland unter dem Dach der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen ACHSE e.V. zusammengeschlossen. Da es jedoch insbesondere bei ultraseltenen Erkrankungen nicht immer Selbsthilfegruppen gibt, wird derzeit auf Initiative der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung ein Nationales Register für Seltene Erkrankungen (NARSE) etabliert. Es wird einen Überblick über die Gruppen der Patientinnen und Patienten in Deutschland geben und ihnen ermöglichen, miteinander in Kontakt zu treten.

Zentren noch zu wenig bekannt

Leider zeigt sich immer wieder, dass die Zentren für Seltene Erkrankungen und ihre Angebote bei vielen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten nicht ausreichend bekannt sind. Sprechen Sie gerne mit Ihrem behandelnden Arzt oder Ihrer behandelnden Ärztin darüber! Denn falls Sie, Ihr Kind, Angehörige oder Bekannte eine bislang nicht erkannte Seltene Erkrankung haben oder Expertise für eine solche suchen, so sind die Zentren für Seltene Erkrankungen die richtige Adresse.

Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich ist Vorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen.

Die webbasierte Informationsplattform se-atlas bietet einen Überblick über die 36 Zentren für Seltene Erkrankungen sowie Selbsthilfeorganisationen in Deutschland. Das Informationsangebot richtet sich an Betroffene, Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, nicht medizinisches Personal sowie alle Interessierten.

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